Der Provisorische Nationalrat ist eine unmittelbar nach der Ausrufung Bayerns zum "Freistaat" (d. h. zur Republik) auf den Nachmittag des 8. November 1918 improvisiert einberufene Instanz. Er tagt im Landtagsgebäude an Stelle der gewählten Abgeordnetenkammer und stellt eine Mischung aus parlamentarischen Elementen und solchen des revolutionären Rätesystems dar, welches im Prinzip nur den unteren ("klassenbewussten") Volksschichten Stimmrecht gewährt. Seine genaue Zusammensetzung bei seiner ersten Sitzung ist nicht bekannt; jedenfalls nehmen die Mitglieder des am Abend zuvor ins Leben gerufenen Arbeiterrats und des Soldatenrats sowie Mitglieder der Landtagsfraktionen der SPD und des Bauernbundes und drei liberale Abgeordnete teil. Im Dezember hat er 256 Mitglieder: je 50 Vertreter des Landesarbeiterrats, des Landessoldatenrats und des Landesbauernrats, in denen jeweils die verschiedenen neu entstandenen, berufsständischen "Räte" zusammengefasst sind; bayernweit gibt es zu diesem Zeitpunkt 6000 bis 7000 Räteorganisationen. Dazu kommen Vertreter der Freien (d.h. sozialdemokratischen) und der Christlichen Gewerkschaften, der Eisenbahnerverbände, einiger kaufmännischer Verbände und eines guten Dutzends weiterer kleinerer Berufs- oder Interessenverbände. Das parlamentarische Element bilden nunmehr präzise benannte Abgeordnete aus dem alten Landtag: 28 aus der SPD-Fraktion, 6 aus der Fraktion des Bauernbundes und 4 liberale Abgeordnete.
Hauptaufgabe des Provisorischen Nationalrates ist es, die Koalitionsregierung von U[nabhängiger]SPD und M[ehrheits-]SPD unter Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD), die sich gleichfalls am 8. November gebildet hat, zu bestätigen und ihr damit eine wenigstens vorläufige Legitimität zu geben. Am Vorabend, am 7. November um 22.30, hatte Eisner im Landtagsgebäude "die vorläufige konstituierende Versammlung der Arbeiter-, Soldaten und Bauernräte" (nicht mit dem Provisorischen Nationalrat zu verwechseln!) eröffnet und wurde zum Vorsitzenden der Räte gewählt.
Schon am Vormittag des 8. November hatte sich die MSPD unter ihrem Vorsitzenden Erhard Auer entschlossen, den revolutionären Machtwechsel als vollzogen anzusehen und mit Eisner in Verhandlungen über eine Koalitionsregierung einzutreten. Eisner war dazu bereit, obwohl er der MSPD die Hälfte der Ministerämter überlassen musste. Eisner selbst übernimmt das Amt des Ministerpräsidenten und des Außenministers. (Da das Amt des Ministerpräsidenten erst in der „Bamberger Verfassung“ vom 12.08.1919 offiziell geschaffen wird, kann man Eisner daher richtiger als „provisorischen Ministerpräsidenten“ bezeichnen. Selbst benutzt Eisner die Bezeichnungen „erster Vorsitzender“ des Rates der Arbeiter, Soldaten und Bauern, „Vorsitzender des Gesamtministeriums“ und eben „Ministerpräsident“.) Eisners Vertrauter Hans Unterleitner übernimmt das neue Ministerium für soziale Angelegenheiten. Die MSPD stellt vier Minister: Erhard Auer (Inneres), Johannes Hoffmann (Kultus), Albert Roßhaupter (Militär) und Johann Timm (Justiz). Zwei weitere Posten gehen an den früheren Minister Heinrich Ritter von Frauendorfer (Verkehr) und an Professor Edgar Jaffé (Finanzen). Mit der Teilnahme an der Revolutionsregierung verbindet die MSPD das Ziel, die Weichen in Richtung auf eine parlamentarische Demokratie zu stellen. Eisner glaubt dagegen, die Durchsetzung der sozialen Revolution nur mittels des Rätesystems bewerkstelligen zu können, und möchte die Wahl eines verfassunggebenden Landtags möglichst verzögern. Ein bolschewistisches Rätesystem im Sinne einer "Diktatur des Proletariats" lehnt aber auch er ab.
Dass der Nationalrat nur von geringer politischer Bedeutung ist, geht schon daraus hervor, dass er erst fünf Wochen später, am 13. Dezember, zu seiner zweiten Sitzung einberufen wird. Die Regierung Eisner räumt dem Nationalrat nur eine beratende Funktion ein und verweigert ihm jede Mitwirkung an der Gesetzgebung. Das wird noch einmal in dem "vorläufigen Staatsgrundgesetz der Republik Bayern" vom 4. Januar 1919 bestätigt, welches die Regierung erlässt, ohne den Nationalrat einbezogen zu haben, und wonach "die revolutionäre Regierung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt ausübt" bis zur "endgültigen Erledigung des Verfassungsentwurfs, der dem Landtag sofort nach seinem Zusammentritt vorgelegt werden muss". Mit den Landtagswahlen vom 12. Januar 1919 erlischt die Existenz des Provisorischen Nationalrats.
Georg Köglmeier, Die zentralen Rätegremien in Bayern 1918/19. Legitimation, Organisation, Funktion, München 2001, S. 228-287; Hürten, in: Handbuch der bayerischen Geschichte, Band IV/1, S. 440-457; Hartmann, S. 466-471; Menges, in: Geschichte des modernen Bayern, S. 152 ff.; Ferdinand Kramer, Bayerischer Ministerpräsident, publiziert am 24.11.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerischer_Ministerpräsident (12.07.2017)