Dieser Landtag wird weder mit einer Thronrede noch mit Adressen eröffnet.
Er steht im Zeichen des beginnenden "Kulturkampfs", also der Auseinandersetzung des Staates mit der katholischen Kirche um die Aufsichtsrechte des Staates und den Einfluss der Kirche in der Gesellschaft. Dieser Konflikt wird einerseits auf der Reichsebene durch Reichsgesetze ausgetragen (z.B. mit dem von der bayerischen Regierung im Bundesrat beantragten "Kanzelparagrafen" vom 10. Dezember 1871; demnach können Geistliche, die in Ausübung ihres Berufs in der Öffentlichkeit staatliche Angelegenheiten in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise behandeln, mit Haft bestraft werden).
Andererseits wird er in Bayern durch den Kultusminister Johann von Lutz, der dieses Amt 21 Jahre lang (von 1869 bis 1890) ausübt, mit Verordnungen, also unter Umgehung des Landtags, und unter strikter Auslegung der Rechte durchgeführt, die der bayerische Staat gegenüber der Kirche besitzt. Dazu zählt auch das umstrittene königliche "Placet", wonach die Bischöfe vor bestimmten kirchlichen Verlautbarungen - wie etwa bei der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas - die staatliche Genehmigung einzuholen haben.
Wegen der katholisch-Konservativen Mehrheit in der Zweiten Kammer kann Lutz seine Absicht, das gesamte Staatskirchenrecht auf eine neue gesetzliche Basis zu stellen und dabei Widersprüche und Unklarheiten zu beseitigen, nicht realisieren. Die Patrioten haben zwar durch die Spaltung an Schlagkraft verloren - ihre Fraktion umfasst nur noch 64 feste Mitglieder -, aber bei bestimmten, vor allem kirchlichen Themen muss man mit gemeinsamem Abstimmungsverhalten aller katholischen Konservativen rechnen. Andererseits hat sich in Folge eines Hin- und Herwechselns von Abgeordneten zwischen den Fraktionen ein Patt zwischen Patrioten und Liberalen ergeben. Deswegen führen auch die hitzigen Rededuelle zwischen Lutz und Jörg - z.B. über den rechtlichen Status, den die Altkatholiken (die das Unfehlbarkeitsdogma ablehnen) erhalten sollen - zu keinen konkreten Ergebnissen. Als schärfstes Mittel, um der Regierung und damit dem König ihren Willen aufzwingen, könnte die Kammermehrheit die Zustimmung zum Budget verweigern und damit die Auflösung des Landtags und Neuwahlen erzwingen. Dieses zweischneidige Schwert will Edmund Jörg aber weder jetzt noch in den folgenden Landtagen einsetzen, was ihm z.B. von Johann Baptist Sigl, dessen Zeitschrift "Das Bayerische Vaterland" das Sprachrohr der ultrakonservativen bayerischen Separatisten ist, immer wieder zum Vorwurf gemacht wird.
Die auf diesem Landtag verabschiedete neue Geschäftsordnung erschwert die Behinderung der parlamentarischen Arbeit durch Obstruktion und kollektive Mandatsniederlegung. Zu diesem Zweck räumt sie den Fraktionen auch keinerlei Funktionen ein, sondern ignoriert deren Existenz völlig.
In seinem Abschied hebt der König die Genehmigung der Einführung des Reichsstrafgesetzes in Bayern als wichtigen Schritt zur Realisierung der Rechtseinheit Deutschlands hervor, begrüßt die neue Geschäftsordnung, die eine raschere Abwicklung der Beratungen ermögliche, und lobt, dass die Volksvertretung die Rückkehr zu geordneten Zuständen im Staatshaushalt trotz höherer Ausgaben für die Bedürfnisse des Staatsdienstes, der Kirchen, der Schulen, der Wissenschaft und der Kunst ermöglicht habe.
Volkert, in: Handbuch der bayerischen Geschichte, Band IV/1, S. 370 ff., 377 ff.; Hartmann, S. 433 ff.; Treml, in: Geschichte des modernen Bayern, S. 99 f.