Einer von rund 700 Kelheimer Soldaten war Josef Habermeyer (1877-1918). Habermeyer arbeitete vor dem Krieg als Berichterstatter des „Altmühl-Boten“. 1915 meldete er sich freiwillig und wurde an die Ostfront geschickt. Hier wurde er im Mai 1915 in der Schlacht von Gorlice-Tarnów verwundet und in ein Lazarett nach Niederschlesien verlegt. Nach seiner Genesung kehrte er zur Ostfront zurück, später wurde seine Division an die Westfront verlegt. Josef Habermeyer starb im Mai 1918 in der vierten Flandernschlacht und wurde auf dem Soldatenfriedhof in Diez beerdigt. Während seines Lazarettaufenthaltes 1915 verfasste Josef Habermeyer einen Bericht über die Schlacht bei Gorlice-Tarnów für den Altmühl-Boten. Der Bericht ist sehr stark parteiisch. "Helden" sind für Habermeyer nur die Deutschen. Die Russen wertet er immer wieder ab.
Die Schlacht bei Gorlice-Tarnów war ein Wendepunkt im Ersten Weltkrieg. Nachdem die österreichisch-ungarische Armee in den Karpaten hohe Verluste erlitten hatte, entschloss sich die deutsche Oberste Heeresleitung dazu, die Verbündeten zu unterstützen. Eine Großoffensive der deutschen 11. Armee und der österreichisch-ungarischen 4. Armee konnte im Mai 1915 die zahlenmäßig unterlegenen russischen Truppen zurückdrängen. Der Sieg bei Gorlice-Tarnów ermöglichte den Mittelmächten (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich, später auch Bulgarien) das weitere Vordringen auf russisches Gebiet.
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Lauban 11.Mai 1915
(Schlesien)
Werther Herr Friedrich!
Gestatte mir, für Ihre Zeitung einen kleinen Beitrag zu schicken[1] und denke, daß dieser Ihre Leser gewiss interessieren wird. Wurde am 2. Mai 1915 beim Sturmangriff bei Gorlice verwundet[2] und liege z. Zt. in Lauban (Schlesien) im Lazarett.
J. Habermeier
Ehem. Berichterstatter des „Altmühl Boten“
Sturmangriff bei Gorlice!
von J. Habermeier z.Zt Lazarett Lauban.
[…]
8 Uhr. Unsere Pioniere schleudern Minen gegen die Stellungen. Plötzlich fliegt ein grauer Klumpen vor unsere Stellung nieder – ein Russe[3] , der durch die Gewalt der Minen aus der Stellung geschleudert wurde. Natürlich tot. Die Artillerie schießt mit immer schneller werdender Kraft. Zünder, Granatstücke fallen in unsere Stellungen zurück und wir müssen in unsere Unterstände flüchten um nicht getroffen zu werden. Hier sitzen wir beisammen, der eine betet, der andere liest im Gebetbuch, jeder will sich vorbereiten auf den schweren Kampf – vielleicht seinen letzten.
9 Uhr 30. Der Sturmzug wird fertig gemacht. Der Feind flieht aus den Gräben und wird von uns mit Infanteriegeschoßen belegt.
9 Uhr 40. Wir[4] stehen im Graben, die Handgranate wurde zurechtgelegt, das Bajonett aufgepflanzt, das Gewehrschloß nochmal nachgesehen, die Drahtscheren gelockert, der Helm noch besser auf den Kopf gerückt. Fieberhafte Unruhe beherrscht uns alle. Manchem Kamerad wird noch die Hand geschüttelt, gesprochen wird nicht viel. Wir haben keine Zeit. Der Zugführer Leutnant M. geht noch die Reihe durch und ermahnt zur Ruhe und Tapferkeit, die Bayern sollen wieder einmal ihr Können und ihren Mut zeigen[5] . Ein paar russische Kanonen singen uns noch einmal ihr Lied vor [6] und senden uns Schrappnells, die Batterien wurden schon von den unseren zum – Schweigen gebracht.
9 Uhr 45. Alles ist fertig, die Artillerie schießt zum Tollwerden. Die Spannung legt sich allmählich und Ruhe tritt unter uns ein. Mancher macht noch einen kurzen Witz über die Russen, man schwört, den Russen kein Pardon zu geben. [7]
10 Uhr. Plötzlich schweigen die hunderte von Feuerschlündern. Sekundenlange Ruhe tritt ein und im gleichen Augenblick schwingen sich die Schwarmlinien und Sturmkolonnen auf die feindlichen Stellungen. Die 2. und 3. Kompagnie unseres Bataillons stürmt, die 1. und 4. schiebt ein. Da ich bei der 3. Kompagnie bin bin ich in der ersten Linie. Während der Artillerieangriffe in der Nacht vom 1.u/2. Mai haben unsere Pioniere die Drahthindernisse der Russen durchschnitten und so stürmten wir ungehindert die erste Stellung. Maschinengewehr- und Gewehrsalven der Russen empfingen uns. Sie schießen wie rasend. Rechts und links bleiben Kameraden zurück – sie sind getroffen worden, doch man hat keine Zeit sich nach ihnen umzusehen, nur vorwärts. Die zweite Linie der Russen ist gestürmt. Unsere Artillerie verlegt ihr Feuer auf den 3. Graben, der sich ganz oben auf der Schneide des Berges hinzieht. Die Russen schießen was nur herausgeht, sie leisten uns erbitterten Widerstand, doch es hilft ihnen nichts. Bei uns gibt es kein Zurück mehr. Wir kommen immer näher an den Graben. Unsere Artillerieflaggen gehen in die Höhe um unserm Beobachter zu zeigen, daß wir nur noch kurze Entfernung zum Feind haben. Er versteht uns. Die Artillerie schießt weiter nach rückwärts. Wir haben noch 21-15-10 m zum Graben. [8] Mit „Hurra“ stürzen wir uns auf die Russen, unser Leutnant steht als erster droben und unsere Gewehrkolben sausten auf die Russenschädel unbarmherzig nieder. Die Russen steigen aus dem Graben, sie wollen (…) fliehen, doch unsere Kugeln erreichen sie. Mit hochemporgehobenen Armen springen sie aus dem Graben und wie ein jämmerliches Winseln [9] hört sich ihr „Pardon Kamerad“ an. Doch unsere Wut kennt keine Grenzen; alles wird niedergemacht. [10]
Russen, denen es doch gelungen ist unter Zurücklassung der Gewehre, Kopfschutz, Munition etc. zu entkommen und den nahen Wald zu erreichen, sendet unsere Artillerie Schrappnells nach. Unser Kompanieführer gebietet Einhalt bei diesem schrecklichen Morden und müde und matt lassen wir die Gewehre sinken. Die noch in den Gräben versteckt haltenden Russen wurden herausgetrieben und gesammelt – viel waren es nicht mehr so zirka 30 Mann.
10 Uhr 40. Der von den bayerischen Regimentern angegriffene 250 m über der Sturmstellung gelegene Zamegythberg[11] war von uns erobert und die Russen in die Flucht – in kopflose Flucht [12] getrieben.
[1]Habermeyer war Berichterstatter beim Altmühlboten.
[2]In der Gorlice-Tarnów-Offensive drängten die deutschen und österreichischen Truppen die russischen Linien weit zurück.
[3]Die Bezeichnung als „grauer Klumpen“ entmenschlicht die feindlichen russischen Soldaten. In der Erzählung sind weder Entsetzen noch Schock erkennbar.
[4]Das „Wir“ verdeutlicht das Gemeinschaftsgefühl der Soldaten.
[5]Appell an die Ehre und den Patriotismus der bayerischen Soldaten. Habermeyer beruhigt damit auch die Leser in der Heimat.
[6]Das „Singen“ der Kanonen verharmlost die tödliche Wirkung.
[7]Abwertung der Russen und gegenseitige Anstachelung vor dem Kampf
[8]Dramatische Schilderung, die den Krieg beinahe als Abenteuer erscheinen lässt. Habermeyer berichtet auch von Verlusten, diese hindern ihn jedoch nicht weiterzukämpfen.
[9]Die Russen werden als Feiglinge dargestellt.
[10]Habermeyer beschreibt die deutschen Soldaten im Blutrausch, die kein Mitgefühl für die sterbenden Russen empfinden.
[11]Ein Berg süd-östlich von Gorlice evtl. Lysula über Ropica Górna.
[12]Habermeyer betont erneut die vermeintliche Feigheit der Feinde.