Unterstützt von der Marktgemeinde Weidenberg und vielen Zeitzeugen machten sich die Schülerinnen und Schüler auf eine spannende Reise in die Vergangenheit im ländlichen Nordostoberfranken, auf der sie den Veränderungen und Kontinuitäten in den vergangenen hundert Jahre nachspürten und zugleich der Frage nach den neuen Herausforderungen für die Region nachgingen. Ihre Forschungen mündeten in der Ausstellung 100 Jahre Strukturwandel im Fichtelgebirge und der Frankenpfalz, die im Herbst 2019 im Schloss im Garten in Weidenberg gezeigt wurde. Diese hat nun Eingang in das folgende Storytelling gefunden, um so die Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
„Die hiesige Bevölkerung ist recht gut bayerisch und deutsch gesinnt, geistlich geweckt, freundlich, gesellig, friedliebend, unterhaltend, ehrlich, gewerbs- und erwerbstätig. Sie liebt Musik, namentlich Gesang, auch theatralische Unterhaltungen und Blumenpflege.“ (Johann Reblitz) [1]
Um 1900 war die Gemeinde Weidenberg noch landwirtschaftlich geprägt. 18 zumeist kleine Vollerwerbsbetriebe und zahlreiche Nebenerwerbshöfe sind nachgewiesen. Als Ende der 1960er-Jahre der letzte Bauer aussiedelte, war die Zeit der Landwirte in Weidenbergs Kern endgültig vorbei. Die vieler Handwerker hingegen nicht: „Alles, was mit Handwerk zu tun hatte“, war in Weidenberg zu finden. Auch das sehr spezialisierte - in den 1960er-Jahren ausgestorbene - Handwerk des Mühlenarztes. Mit dem Siegeszug der günstigen Konfektionsmode allerdings blieben ab den 1970er-Jahren auch die Schneider, Näherinnen und Schuster auf der Strecke.
Deutlich wird hier das Zusammenspiel von Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe in Weidenberg in der Zwischenkriegszeit: Das auf dem Foto abgebildete verzinkte und damit dichte Jauchefass löste in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts das Holzfass ab. Montiert ist es auf einem eisenbereiften Untergestell, da sich Gummireifen zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgesetzt hatten. Die landwirtschaftlichen Geräte stellten die Handwerker vor Ort selbst her: die Büttner, Wagner, Flaschner und Schmiede.
Die heute denkmalgeschützten Scheunen in der Wolfskehle verweisen ebenfalls auf die Bedeutung der Landwirtschaft für den Ort noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Auch sie errichteten die örtlichen Handwerker.
Das Anwesen der letzten „Mühlenarzt-Familie“ Hagen in den 1920er-Jahren. Mühlenärzte stellten die Wasserräder her, warteten die Kammräder und schärften die Mahlsteine. Mit dem Mühlensterben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts starb auch dieses Handwerk aus. Aus dem Handwerksbetrieb der Familie Hagen ging jedoch die Landmaschinen und Wassertechnik GmbH Lippold hervor.
„16 Laden-Firmen […] versehen die Einwohnerschaft und Umgebung mit Kolonial-, Wollen-, Baumwollen-, Weber-, Kurz-, Eisen-, Stahl-, Blech-, Glas-, Porzellan-, Seiden-, Weiß- und Zuckerwaren, mit Tuchen, Mehl, Öl. Salz, Spiritus und sonstigen Bedarfsartikeln für die Person, fürs Haus und für den Gewerbebetrieb. […] Außerdem sind vorhanden: drei Gerbereien […] ein Zeugschmied und Maschinenbauer, zwei Huf- und zwei Grobschmiede, sechs Schreiner, ein Schlosser, ein Siebmacher, ein Buchbinder, sechs Metzger, zwei Glaser, drei Wagner, ein Anzahl selbständig arbeitender Maurer und Zimmerleute, fünf Leineweber, drei Spengler, drei Büttner, zwei Seiler, ein Strumpfwirker, zwei Töpfer, ein Bader, zwei Uhrmacher […], zwei Tüncher und Zimmermaler, ein Drechsler, ein Plastiker in Holz, ein Sägeschmied, mehrere Viehhändler, ein Kaminkehrermeister, zwei Kleidergeschäfte, sechs selbständig arbeitende Schneider, sechs Näherinnen zwei Mützenmacher, neun Schuhmacher, ein Spediteur, zwei Mühlenärzte, ein Wasenmeister [Abdecker], ein Färber.“ (Johann Reblitz) [2]
Supermärkte, wie sie heute üblich sind, kannte man bis in die 1950er-Jahre nicht. Stattdessen gab es zahlreiche kleine Spezialläden. Der „Konsum“ am Untermarkt und „Edeka“ am Obermarkt sind für die Älteren der Gemeinde noch ein Begriff. Das Lebensmittelgeschäft von Friedrich Sack war es eines von vielen in der Gemeinde Weidenberg. In Zeiten ohne Konserven suchten die Weidenberger das Geschäft auf, um sich dort ihr Kraut hobeln zu lassen. Der Lebensmittelhändler hatte nämlich das einzige elektrische Hobelwerk für Gemüse weit und breit. Anschließend legte man sein Kraut selbst ein, um Vitamine für den Winter zu haben. Heute kauft man Sauerkraut in einer der beiden verbliebenen Metzgereien am Ort oder im Supermarkt. Kleine Lebensmittelhändler gibt es schon lange nicht mehr.
Wenige größere Betriebe gab es aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch: die Kunstmühle der Gebr. Schöller, die Dampfziegelei von Johann Kießling und die „Staaschlaf“, das Granit-, Schleif- und Polierwerk an der Bahnhofsstraße. Zeitweise ansässig waren auch eine Eisengießerei, eine Spiegelglasmanufaktur und eine Skiproduktion. Selbst Rechenschieber kamen in den 1930er-Jahren aus Weidenberg.
Das gewerbliche Zentrum des Ortes war lange der Obermarkt. Doch schon vor dem Ersten Weltkrieg verlagerte sich die Produktion allmählich nach unten. Heute ist der Obermarkt vor allem Wohngebiet, das gewerbliche und industrielle Leben spielt sich am Untermarkt, der „Neuen Mitte“ und im Industriegebiet ab. Dort sind zahlreiche Dienstleistungs-, Gewerbe- und auch mittelständische Industriebetriebe zu finden, darunter auch Firmen, die ihre modernen Produkte international vermarkten, wie die Hydewa GmbH. Die Gemeinde setzt, wie das gesamte Fichtelgebirge, auf eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur und steht hier in der Tradition ihrer Vorfahren.
Granit, Porzellan und Glas. Dieser Dreiklang bestimmte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die industrielle Entwicklung Weidenbergs und des Fichtelgebirges.
Wer heute die „Neue Mitte“ in Weidenberg passiert, kann sich nicht vorstellen, dass hier bis in die 60er-Jahre in großem Stil Granit bearbeitet wurde. Die Ende des 19. Jahrhunderts an der Bahnhofstraße errichtete „Staaschlaf“ der Gebrüder Schiller war direkt an die Bahnlinie angeschlossen. Man veredelte Fichtelgebirgsgranit aber auch schwarz-schimmernden Granit aus Schweden zu imposanten Grabsteinen. Die harte Arbeit war relativ gut bezahlt, so wurde das Granitwerk Schiller zum größten Arbeitgeber Weidenbergs.
Doch der „Staaschlaf“ ging es wie der Gablonzer Glaswarenindustrie. Ab den 60er-Jahren war man auf den internationalen Markt nicht mehr konkurrenzfähig. Die heimischen Erzeugnisse konnten preislich mit der asiatischen Ware nicht mithalten. Das Werk wurde verkauft und abgerissen.
„Kurze Zeit nach der Fertigstellung der Erweiterungsbauten […] entschlossen wir uns zur besseren Ausnützung der Weißware, zum Bau eines Gebäudes für einen Dekorbetrieb. […]“. Auf einem „im Norden angrenzenden Obstgarten […] wurde ein Gebäude errichtet, in dem die Sortierstube, die Schmelze, die Packerei, die Malerei, das Lager und eine Wohnung für den Obermaler untergebracht waren. Inzwischen ist das Jahr 1923 mit dem Höhepunkt der Inflation zu Ende gegangen. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Dekorabteilung fiel bereits in die Rentenmarkzeit. Für die Leitung der Dekorabteilung wurde eine sehr gute Fachkraft Herr Hermann Netzsch aus Selb gewonnen. Er zog mit seiner Familie nach Sophienthal in die Werkswohnung. Durch gute Entwürfe und vor allem geschicktes Anlernen von Ortsansässigen zu Fachkräften und Lehrlingsausbildung, hat er sich sehr verdient gemacht.“ (Franz Joseph Czech) [3]
Gegründet wurde die Porzellanfabrik Sophiental 1920 als Thomas & Co., Porzellanfabrik von Alfred Thomas und Franz Joseph Czech. Trotz guter Belegschaft, die „sehr anstellig" und „leicht und willig“ war, sowie innovativer Produktion hatten die beiden jungen Männer nicht den erhofften Erfolg. Sie verkauften die Fabrik 1926 an die Rosenthal AG, die den Standort bis Ende der 1950er-Jahre weiter betrieb. Auch zahlreiche Heimatvertriebene fanden hier zunächst Arbeit. In den besten Zeiten waren in der Fabrik rund 120 Menschen beschäftigt, darunter viele Frauen und Jugendliche.
Das Werk Sophienthal wurde ab 1960 jedoch zugunsten des neuen Thomas-Werks in Speichersdorf schrittweise aufgegeben. Die Sophienthaler Porzelliner mussten nun zu weiter entfernten Standorten pendeln. Vor allem die Frauen gaben deswegen ihre Tätigkeit auf, da der lange Arbeitsweg ihre Doppelbelastung noch vergrößerte. 1975 endete die Porzellanzeit in Sophienthal endgültig.
Die SiLi GmbH in Warmensteinach hat es geschafft, vom traditionellen Glaswarenhersteller zum „hidden champion“ zu werden. Die Firma, die bereits in der fünften Generation in der Glaserzeugung tätig ist, stellt aus Keramik und Glas hochbelastbare Kugeln her. Sie finden in Mahlverfahren oder als Ventil- bzw. Filterkugeln Verwendung. Für Präzisionsglaskugeln im medizinischen Bereich ist SiLi sogar Weltmarktführer. Auch im Straßenverkehr werden die Kugeln benötigt. Sie sind der Straßenmarkierungsfarbe beigemischt, um das Scheinwerferlicht zu reflektieren. Darüber hinaus produziert der Betrieb Glitter für führende Kosmetikfirmen. Vom Hohen Fichtelgebirge aus wird in die Welt exportiert.
Auch in Weidenberg gibt es einen Industriechampion: die Zapf GmbH. Sie produziert seit 1963 an diesem Standort und war zeitweilig der größte Arbeitgeber am Ort. Zapf ist Markführer im Bereich Fertiggaragen in Deutschland.
1979 erhielt die Firma Zapf ihren eigenen Gleisanschluss in Weidenberg, der heute nicht mehr genutzt wird. Die Garagen werden hauptsächlich per Spezial-LKW transportiert.
Von 1993 bis 1999 nahm die Zahl der Mitarbeiter von rund 250 auf 350 zu. Der Grund für die gute Auftragslage war der Umstand, dass nach der Wiedervereinigung das marode Kanalsystem in den neuen Bundesländern modernisiert werden musste. Hierzu lieferte Zapf die Rohre. Die Firma stellte außerdem Fertigteile für Gebäude her. Seit 2016 konzentriert sich die Firma jedoch auf das Kerngeschäft Garagen.
Und nouch n Kriege dou trieb mr uns fort, n Greis und de Muttr mi n Kinde, und s Häusl stond leer, und s Gartl vrdorb, öm s Harze wor s schwer, denn a Glöcke drstorb. Und traurich rauschte de Linde. (Heinz Kleinert) [4]
Die Ansiedlung der Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie nordöstlich von Bayreuth wurde im Mai 1946 vom Bayerischen Ministerrat beschlossen. Das Gelände des ehemaligen Luftwaffenflughafens Bindlacher Berg schien dafür geeignet. Schnell entstand dort die Werksiedlung „Neubürgerreuth“. Bereits 1946 begann die erfolgreiche Produktion. Doch noch im gleichen Jahr beschlagnahmten die Amerikaner das Gelände aus militärischen Gründen. Der Kalte Krieg war bereits in vollem Gange.
Viele Vertriebene mussten nun nochmals von Neuem beginnen. Dieses Mal in Weidenberg, Warmensteinach und Fichtelberg. Viele Sudetendeutsche und Schlesier kamen nach Weidenberg, sodass die Gemeinde ab 1951 einen neuen Ortsteil errichtete: die Gablonzer Werksiedlung, die für rund 1000 Neubürger eine neue Heimat werden sollte. Gemeinderat Otto Fleischmann und Bürgermeister Georg Hagen trieben das Projekt federführend voran, wobei ihnen der Marshall-Plan eine wichtige Hilfe war. Trotzdem waren der Anfang nicht immer leicht, doch bald prosperierten die Unternehmen.
55 Betriebe erzeugten Lüsterbehang, Glaslinsen, Glasperlen, Glasknöpfe und Gablonzer Modeschmuck, sog. Gürtlerware. Die Exportfirma Novex verbreitete die Produkte weltweit, bis nach Asien und Afrika. So schufen die Vertriebenen Arbeitsplätze für sich und die Einheimischen. In Heimarbeit fädelten Frauen Ketten oder bemalten Knöpfe, was für viele eine willkommene und oft auch die einzige Verdienstmöglichkeit war.
Aber der Erfolg war nur zwei Jahrzehnte gegeben. Plastik, moderne Waschmaschinen und Billigimporte führten in den 1970er-Jahren bereits zum Niedergang der traditionellen Glasproduktion. Das Glasknopf-Museum und das Pohl-Haus sind noch heute wichtige Erinnerungsorte, die es zu erhalten gilt.
Infolge der Flüchtlinge und Vertriebenen verzeichnete Weidenberg einen deutlichen Bevölkerungszuwachs: 1939 lebten dort 3348 Menschen, 1950 - trotz Kriegsverlusten - wieder 5151. In der Folgezeit nahm die Bevölkerung stetig zu, nach dem Mauerfall nochmals deutlich. Nach 2011 hingegen ist eine Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen, die im Wesentlichen der demographischen Entwicklung im ganzen ländlichen Nordost-Oberfranken entspricht.
Um 1900 ging es in Weidenberg an die „Förderung des Fremdenverkehrs“. Vorbild waren der Molkekurort Bad Berneck und die Gemeinden des Hohen Fichtelgebirges. Dennoch wurde Weidenberg langfristig kein Touristenmagnet, trotz der Bemühungen des Verschönerungsvereins von 1903.
Die 1896 eröffnete Eisenbahnlinie brachte um die Jahrhundertwende wintersportbegeisterte Nürnberger, die rund um Weidenberg Ski fuhren und den Einheimischen den neuen Sport zeigten. Echter Wintersporttourismus etablierte sich aber nur in den höheren Lagen. Seit 1907 gab es sonntags von Nürnberg aus „Rodlerzüge“ in das Fichtelgebirge. Die Hänge mussten aber mit eigner Kraft erklommen werden. Der erste Lift im Fichtelgebirge wurde 1954 am Geiersberg in Betrieb genommen.
Sommerfrischler aus den großen Städten des Reiches kamen ebenfalls bereits vor dem Ersten Weltkrieg. In den 1920-er Jahren entdeckte die Schullandheimbewegung das Fichtelgebirge. Einige Berliner Schulen unterhielten sogar Ferienheime in der Region.
Wir können nur sagen: Kommt und sehet! Selbst ein wiederholter mehrwöchiger Sommeraufenthalt wird nicht hinreichen, die Mannigfaltigkeit der Gegend zu erforschen. Auch für denjenigen, der auf Wanderungen verzichten muß, wird eine hiesige Sommerfrische durch den Genuß der ozonhaltigen nervenstärkenden Fichtelgebirgsluft den reichsten Gewinn bringen. Wer unsere würzige Luft einmal geatmet, wird sich immer nach ihr zurücksehnen als der besten Arznei für Herz und Nerven. Darum kommt, sehet und genießet, um dann neu gestärkt wieder heimzukehren. (Aus einem Werbeprospekt des Weidenberger Fremdenverkehrs- und Verschönerungsverein 1930)
In der Zeit der deutschen Teilung war das Fichtelgebirge für die Westberliner fast ein „Vorort“. Der Mauerbau hatte sie von ihren traditionellen Urlaubsgebieten, Erzgebirge, Elbsandsteingebirge und Ostharz, abgeschnitten. Voll besetzte Busse brachten nun verlässlich Berliner Gäste. Die Besucher blieben im Schnitt drei Wochen und kamen in den ersten Jahren häufig bei Privatleuten unter, die während der Saison Zimmer vermieteten. Campingplätze und Jugendherbergen waren ebenfalls beliebt.
Der Boom führte zum Ausbau der touristischen Infrastruktur und zum Wandel der Erwerbsstruktur. Aus Bauern und Handwerkern wurden Pensionsbetreiber und Hoteliers. Der 1969 erfolgte Bau der Seilbahn auf den Ochsenkopf verlieh dem Tourismus einen weiteren entscheidenden Schub.
„Durch Ruhe und Besinnung zu Leistung und Erfolg!“, heißt es in der von der Marktgemeinde herausgegebenen Werbebroschüre. Diese sollte Urlauber von der „ruhige[n] Beschaulichkeit“ des Ortes ohne „rauchende Fabrikschornsteine“, aber umgeben von „Stille“ und „unberührte[r] Natur“, überzeugen. Trotzdem sei man mit „modern ausgestattete[n] Geschäfte[n]“, „Lichtspieltheater“, Sportplatz und „Freibad mit Liegewiese“ auf der Höhe der Zeit. Auch sei „die Heilversorgung in jeder Lage gesichert“ und die Gäste könnten auf „saubere, breite Straßen“ zählen, wenn sie unterwegs zu ihren „ausgezeichnete[n]“ Unterkünften mit „preiswerte[r], gute[r] Verpflegung" sind.
Die sonntäglichen Sonderzüge von Nürnberg nach Warmensteinach wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen. 1965 wurde das Angebot bereits wieder eingestellt, da sich im Zuge der Motorisierung und des Ausbaus der Fernstraßen der Ausflugsverkehr von der Schiene auf die Straße verlagerte.
Mit dem Fall der Mauer boomte die Region fast noch eine Dekade, da nun auch die Ostdeutschen die Vorzüge dieser Region entdeckten. Mit Ende des Jahrtausends ebbten die Touristenströme jedoch ab.
Heute beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer drei Tage. Die Region gilt als Zweiturlaubsgebiet. Die meisten Gäste kommen weiterhin im Winter. Die Tourismusbranche will daher verstärkt Sommergäste anlocken. Um konkurrenzfähig zu bleiben, sind heute Buchungsplattformen und Social Media ein Muss.
Die Innovationen im oberfränkischen Tourismusbereich greifen: Die Gesamtregion Bayreuth - Bad Berneck - Fichtelgebirge verbuchte in den letzten zehn Jahren steigende Gästezahlen.
Weidenberg erhielt 1909 ein neues Schulgebäude, das an die Stelle eines 1835 von der „Bürgerschaft“ mit finanzieller Unterstützung der „königlichen Regierung“ erworbenen Hauses gebaut wurde. Die erste Weidenberger Schule von 1835 fasste die bis dahin bestehenden vier Schulen zusammen, musste aber 1908 dem Neubau weichen. Mit der Eröffnung der neuen Schule kam eine vierte Schulstelle hinzu, die mit der ersten weiblichen Lehrkraft „für die Kleinen“ besetzt wurde. Auch in den umliegenden Dörfern und dem Fichtelgebirge erhielten die Kinder Unterricht. Meist handelte es sich dabei um einklassige Volksschulen.
Das alte Schulgebäude von 1909 entsprach in den 1960er-Jahren nicht mehr den Anforderungen, die mit dem grundlegenden Wandel Bayerns vom Agrar- zum Technologieland einhergingen. Hinzu kam die Einführung des neunten Pflichtschuljahrs 1969. Außerdem wurde nicht mehr weggesehen, wenn die Kinder daheim arbeiteten, statt zur Schule zu gehen.
Das Ziel war ein voll ausgebautes Grund- und Hauptschulzentrum in Weidenberg. Damit verbunden war die Auflösung der Zwergschulen und eine neue Sprengeleinteilung. Das wurde nicht von allen Seiten begrüßt. Zähe Verhandlungen und eine lange Standortsuche folgten, bis „im Herbst 1971 hier moderner, neuzeitlicher Unterricht“ für 24 Klassen begann. Der großzügige Bau war nur deswegen möglich geworden, weil die Gemeinde mit der Obstplantage Schröder ein großes Areal erwerben konnte.
Aktuell werden in der Grund- und Mittelschule Weidenberg 27 Klassen unterrichtet. Am Puls der Zeit ist man immer noch: Es wird in einem hellen sanierten Gebäude gelernt. Es gibt Ganztagsklassen und Mittagsbetreuung, einen M-Zug, Deutschlernklassen und vielfältige Kooperationen.
Viele der im protestantischen Oberfranken tätigen protestantischen Volksschullehrer wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts in der königlichen Lehrerbildungsanstalt Bayreuth (1895–1918) ausgebildet. Gelehrt wurde in der Weimarer Republik die Pädagogik des Humanisten Comenius, die damals als vorbildlich galt. Damit machte der Nationalsozialismus Schluss. Das Seminar entwickelte sich zu einer linientreuen Anstalt. Nach 1946 zog ein liberaler Geist ein. 80 Jahre nach der Gründung wurde das Seminar aufgelöst und 1975 in die neue Universität Bayreuth eingegliedert. Heute beherbergt das Gebäude das Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium.
Vor rund hundert Jahren war das Wort „Freizeit“ nur wenigen Menschen geläufig. Die Arbeit in Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und im Haus ließ bis in die 1960er-Jahre wenig Zeit für anderes. Trotzdem etablierte sich in den letzten 100 Jahren ein reges Vereinsleben. Die Menschen gingen Kegeln, fuhren Ski oder genossen „Tanzvergnügen“.
„Weidenberg hat vier gute und gedeckte Kegelbahnen mit Gartenwirtschaften. […] Das Vereinswesen ist in Weidenberg sehr mannigfaltig. Vereine, welche hier ihren Sitz haben, sich aber auf den ganzen Amtsgerichtsbezirk erstrecken, sind der Landwirtschaftliche Verein und der Lehrerverein. […] Der Veteranen-Feldzugs-Soldatenverein, der Veteranen- und Kriegerverein sowie der Obstbaumverein dehnen sich auf die benachbarten Gemeinden aus. Die Freiwillige Feuerwehr (von 1868), der Turnverein (von 1871) und der Gesangverein (von 1868) sind lokaler Natur. […] Gesellige Vereine sind Harmonie, Bürgerverein, Erholung, Erheiterung, Ehrenkranz, Hand in Hand ect. […] Der Fichtelgebirgsverein […] zählt hier viele Mitglieder.“ (Johann Erhard Reblitz) [5]
Von 1945 bis zum Ende der 60er-Jahre konnten die Weidenberger im „Lichtspieltheater“ auch Unterhaltungsfilme sehen, selbst wenn die Frau des Inhabers zu Beginn mahnte: „Kinna seid ruhig, a Kulturfilm!“ Zudem erfreuten sich Musikveranstaltungen sich großer Beliebtheit, auch wenn Mädchen bis in die 1950er-Jahre kein kappellentaugliches Instrument lernen sollten. Sie spielen - im Unterschied zu heute - damals in der Blaskapelle nicht mit. Sie hatten sich mit der Aufgabe der Ehrendame zufrieden zu geben oder Zuschauerin zu sein.
Ein Spektakel für Mädchen und Jungen war zu Beginn der Sommerferien das Wiesenfest. 1862 scheint es zum ersten Mal in Weidenberg stattgefunden zu haben. Zunächst wurde in Obstgärten, ab den 1970er-Jahren mit Zeltbetrieb gefeiert. Mit weiß-blauen Fahnen und nagelneuen Kleidern bildeten Buben und Mädchen einen Festzug durch die Gemeinde. Am Montag des Festes gehörte der Kletterbaum zu den Kinderbelustigungen. Wer es schaffte, nach oben zu gelangen, hatte die Chance, ein nettes Präsent zu ergattern. Heutzutage allerdings hat die Weidenberger Kellernacht dem Wiesenfest den Rang abgelaufen.
Ein weiterer wichtiger Brauch - wie in ganz Franken - ist die Kerwa. Sowohl die märktischen Berschla als auch die lindischen Berschla führten mit ihren Madla auf dem Berschlaball ihre Tänze vor. Darüber hinaus traf man sich im 19. Jahrhundert zu geselligen Abenden. Obwohl man fest der Tradition verhaftet ist, gibt es auch Neuerungen: Heute reden auch die Madla mit.
Die Brezenwoche ist dem Weidenberger Traditionsgebäck, der Anisbreze, gewidmet. Die Breze zählte zu den „Gebildebroten“. Nach christlichem Verständnis versinnbildlicht sie die Fessel, die Jesus bei der Dornenkrönung tragen musste. Deswegen findet die Brezenwoche seit dem Mittelalter von Dreikönig bis zum Aschermittwoch statt.
Eine große Breze im Fenster zeigt an, in welchem Lokal gerade Brezenwoche ist. Vor 100 Jahren beteiligten sich daran fast zwanzig Gast- und Bierwirtschaften sowie elf Bäckereien, allein aus dem Markt Weidenberg. Und noch in den 1960er-Jahren gab es eine Reihe von Brezenbäckereien. Heute stellt nur noch die Bäckerei Wolf die Spezialität der Anisbreze her. An den Brezenwochen nehmen mittlerweile selten mehr als zehn Gaststätten teil, verteilt auf die verschiedenen Ortsteile, die mit der Gebietsreform der 1970er-Jahre nach Weidenberg eingemeindet wurden.
Auch heute noch wird Geselligkeit gepflegt. Die Vereine aber spüren den demographischen und gesellschaftlichen Wandel. Obwohl die Menschen heute viel mehr Freizeit haben, möchten sie sich oft nicht mehr langfristig an einen Verein binden.
[1] Johann Erhard Reblitz, Beschreibung der Marktgemeinde Weidenberg. 1900, in: Jürgen-Joachim Taegert, Myrten für Dornen. Geschichte(n) aus Weidenberg 1919-1949, Folge 1: Am Vorabend der Urkatastrophe(n) - Weidenberger Geschichtsquellen, Pressath 2018, S. 291.
[2] Johann Erhard Reblitz, Beschreibung der Marktgemeinde Weidenberg. 1900, in: Jürgen-Joachim Taegert, Myrten für Dornen. Geschichte(n) aus Weidenberg 1919-1949, Folge 1: Am Vorabend der Urkatastrophe(n) - Weidenberger Geschichtsquellen, Pressath 2018, S. 297f.
[3] Aus den Erinnerungen des Fabrikgründers Franz Joseph Czech, in: Seinerzeit, Nr. 1, 30.12.1992, S. 15–17, S. 16.
[4] Auszug aus dem Gedicht "Dos Gleckl" von Heinz Kleinert (*1927 + 2003). Das Gedicht ist in paurischer Mundart verfasst. Das Paurische wurde in und um Gablonz an der Neiße (heute Jablonec nad Nisou) gesprochen.
[5] Johann Erhard Reblitz, Beschreibung der Marktgemeinde Weidenberg. 1900, in: Jürgen-Joachim Taegert, Myrten für Dornen. Geschichte(n) aus Weidenberg 1919-1949, Folge 1: Am Vorabend der Urkatastrophe(n) - Weidenberger Geschichtsquellen, Pressath 2018, S. 309f.