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Nationalsozialismus in Bayern, Teil I

Bayern spielte für den Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. 1919 gründete sich in München die Deutsche Arbeiterpartei, die 1920 in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannt wurde. Die NSDAP wurde zunächst in fast allen Ländern des Reiches verboten. In Bayern allerdings nicht. Hier wurde sie sogar teilweise von staatlichen und städtischen Münchner Behörden, wie vom Justizministerium oder vom Polizeipräsidium, wohlwollend geduldet.

Gefördert wurde Hitler ebenfalls vom gehobenen Bürgertum, auch finanziell. Die Sympathie mit Hitler zeigte sich schließlich im Hochverratsprozess vor dem bayerischen Volksgericht. Am 8./9. November 1923 hatte Hitler gemeinsam mit General Ludendorff versucht, von München aus die Macht in Deutschland zu übernehmen. Dieser Putschversuch wurde von der bayerischen Landespolizei niedergeschlagen. Trotz des erwiesenen Hochverrats wurde Hitler nur zu einer geringen Haftstrafe verurteilt und bereits nach einem halben Jahr auf Bewährung aus der Haft entlassen. Nach ihrer Machtübernahme 1933 deuteten die Nationalsozialisten München von einem Ort der Niederlage zu einem Ort der „Blutzeugen der Bewegung“ und damit zu einer wichtigen Kultstätte der NS-Bewegung um.

Große Bedeutung für den Aufstieg der Partei hatte auch Franken. Im Oktober 1922 gründete sich die NSDAP-Ortsgruppe Coburg, die 1923 bereits 600 Mitglieder zählte. Noch vor der Machtübernahme erprobte die NSDAP in Coburg, was sie in Deutschland ab 1933 umsetzen sollte: 1931 erfolgte ein erster Boykottaufruf gegen jüdische Firmen. Auch der spätere Reichsarbeitsdienst wurde hier zum ersten Mal umgesetzt.

Eine Schlüsselrolle in Franken spielte Julius Streicher, der mit der Herausgabe des antisemitischen Hetzblatts „Der Stürmer“ schon früh zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger um sich scharte. 1922 schloss er sich der NSDAP an, im Oktober 1922 gründete er die NSDAP-Ortsgruppe Nürnberg. Daraufhin kam es zu einem raschen Anstieg der Mitgliederzahl. Streicher war ein loyaler Anhänger Hitlers und gehörte zu dessen wenigen Duz-Freunden.

Die Nationalsozialisten entschieden sich bewusst dazu, in Nürnberg, der „deutschesten der deutschen Städte“, 1927 und 1929 ihre Parteitage abzuhalten. Nürnberg hatte eine wichtige Brückenfunktion: Von hier aus gelang der NSDAP die Ausbreitung über das ganze Reich. Die langjährigen Verbindungen zahlten sich im „Dritten Reich“ aus: 1935 erhielt Nürnberg den NS-Ehrentitel „Stadt der Reichsparteitage“.

Bayern hatte als Traditionsland und Heimat der NS-Bewegung auch nach 1933 große Bedeutung für die Nationalsozialisten. Es diente als Kulisse für pompöse Massenveranstaltungen wie die Reichsparteitage in Nürnberg oder die Gedenkfeiern zum Hitlerputsch von 1923 in München. Hitler hielt sich besonders gerne in München oder auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden auf.

Auch beim Aufbau des NS-Unterdrückungs- und Terrorsystems übernahm Bayern eine Vorreiterrolle. Am 22. März 1933 wurde das erste ununterbrochen betriebene Konzentrationslager auf deutschem Boden östlich von Dachau errichtet und 1937/38 erweitert. Zuständig war es zunächst für die Inhaftierung politischer Gegnerinnen und Gegner des NS-Regimes. In seiner Organisation und seinem räumlichen Aufbau diente es auch als Musterlager für neue Konzentrationslager im Reichsgebiet. Zugleich war es Ausbildungsstätte der SS, die hier ihr Mörderhandwerk lernte und für Bewachung und Organisation der Konzentrationslager zuständig war. Als die Lager auch wirtschaftlichen Profit aus der Häftlingsarbeit abwerfen sollten, erfolgte die Gründung des Konzentrationslagers Flossenbürg in der Oberpfalz im Mai 1938. In über 150 Außenlagern des KZs Dachau und annähernd 90 Außenlagern des KZs Flossenbürg mussten Häftlinge Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie und andere Unternehmen leisten, in Flossenbürg gehörte dazu auch die Förderung des Granits im nahegelegenen Steinbruch.

Arbeitsaufträge

  • Erarbeitet anhand des Darstellungstextes die Bedeutung Bayerns für den Aufstieg des Nationalsozialismus.
  • Lest in Partner- oder Kleingruppenarbeit das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 durch (Quelle 1).
    • Sucht euch zwei bis vier Punkte heraus und gebt sie in eigenen Worten wieder. Besprecht dabei unklare Wörter oder Formulierungen.
    • Stellt den Inhalt nun verständlich der Klasse vor.
    • Begründet, worin bereits in den von euch gewählten Punkten die Gefahr deutlich wird, die von der NSDAP ausging.
  • Betrachtet in Partnerarbeit die Grafik zu den Landtagswahlen 1932 (Quelle 2). Erklärt die Wahlergebnisse mithilfe des Darstellungstexts.
  • Analysiert in Partnerarbeit jeweils ein Plakat von SPD und BVP zur Landtags- bzw. Reichstagswahl 1932 (Quellen 4-7). Beschreibt zunächst, was auf dem Plakat abgebildet ist. Überlegt, was die Darstellungen dem Betrachter über die NSDAP vermitteln sollen.
  • Im Gegenzug betrachtet ihr nun die Plakate der NSDAP zur Reichstagswahl und zur Reichspräsidentenwahl 1932 (Quellen 8-10). Notiert euch, was auf den Plakaten dargestellt ist. Erarbeitet nun die Bildaussage. Wie stellt sich die NSDAP dem Betrachter dar?
  • Lest die Schutzhaftliste vom 5. August 1933 genau durch und rekonstruiert, worum es in diesem Schreiben geht (Quelle 3). Erarbeitet in Partnerarbeit folgende Aspekte:
    • Überlegt euch, was unter dem Begriff „Schutz-Haft“ verstanden werden kann, wenn ihr nur die Begriffe „Schutz“ und „Haft“ betrachtet.
    • Recherchiert in einem Lexikon oder im Internet, was sich tatsächlich dahinter verbirgt. Eine Begriffserklärung findet ihr unter https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung/schutzhaft/ oder auf https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzhaft
    • Welche Aussage über die NS-Herrschaft kann also anhand der Schutzhaftliste getroffen werden?
      • Bezieht dabei das Datum in eure Überlegungen mit ein. Ordnet es chronologisch in die Etappen der Machtübernahme Hitlers ein.
      • Beachtet dabei auch, welche Behörde das Schreiben ausstellte und an wen es gerichtet war.
  • Analysiert in Partnerarbeit den Zeitungsbeitrag des bayerischen Schriftstellers Oskar Maria Graf (Quelle 11).  
    • Arbeitet Grafs Argumentation und Kritik an der NS-Herrschaft heraus.
    • Der Zeitungsartikel ist vom 12. Mai 1933. Welche Menschenrechtsverletzungen benennt Graf darin? Bezieht die Schutzhaftliste mit ein.
  • Überlegt euch, ob die Befürchtungen der BVP und der SPD, wie sie auf den Wahlplakaten dargestellt sind, zutreffend waren. Begründet eure Meinung.

 

Grundsatzprogramm der NSDAP von 1920

PDF-Dateien

Transkription

Verbrennt mich!

Ein Protest von Oskar Maria Graf.

Wie fast alle links gerichteten, entschieden sozialistischen Geistigen in Deutschland, habe auch ich etliche Segnungen des neuen Regimes zu spüren bekommen: Während meiner zufälligen Abwesenheit aus München erschien die Polizei in meiner dortigen Wohnung, um mich zu verhaften. Sie beschlagnahmte einen großen Teil unwiederbringlicher Manuskripte, mühsam zusammengetragenes Quellenstudienmaterial, meine sämtlichen Geschäftspapiere und einen großen Teil meiner Bücher. Das alles harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung. Ich habe also mein Heim meine Arbeit und – was alles vielleicht am schlimmsten ist – die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem Konzentrationslager zu entgehen.
Die schönste Ueberraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut „Berliner Börsencourier“ stehe ich auf der weißen Autorenliste des neuen Deutschland und alles meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes „Wir sind Gefangene“, werden empfohlen! Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des „neuen“ deutschen Geistes zu sein!
Vergebens frage ich mich, womit ich diese Schmach verdient habe.
Das Dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl ihrer wesentlichen Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten, und den Begriff „deutsch“ durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Genossen verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden!
Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch schon gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer „Geistigen“ zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte weiße Liste zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann!
Diese Unehre habe ich nicht verdient!
Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen!
Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein, wie eure Schmach!
(Alle anständigen Zeitungen werden um Abdruck dieses Protestes ersucht. Oskar Maria Graf)